Nahrungsmangel beeinflusst Lebenserwartung auch in wohlhabenden Industrieländern

Menschen, die jeden Monat mit wenig Geld auskommen müssen, sterben im Durchschnitt früher

Von Cornelia Scherpe
26. Februar 2020

Menschen, die akut unterernährt sind, haben eine geringere Lebenserwartung, da ihr Organismus immer am Limit arbeitet. Nun haben Forscher herausgefunden, dass sich das Leben eines Menschen auch dann verkürzt, wenn Nahrungsmangel in Industrieländern auftritt. Prinzipiell kennen Menschen reicher Länder kaum lebensbedrohlichen Hunger, doch selbst vorübergehender Mangel wirkt offenbar auf die Lebenserwartung ein.

In Kanada gibt es die Canadian Community Health Survey. In dieser großen Bevölkerungsanalyse wurden zwischen 2005 und 2017 über 500.000 Menschen zu ihren Lebensumständen befragt. Bei 11,2 Prozent war das Geld am Ende eines Monats oft so knapp, dass eine ausgeglichene Ernährung nicht mehr möglich war. Eine Teilgruppe von 2,5 Prozent gab sogar eine schwere Nahrungs­mittelunsicherheit ein. Sie könne am Monatsende kaum mehr irgendwelche Nahrung kaufen.

Diese Angaben der Kanadier wurden mit dem Sterberegister verglichen und es zeigte sich ein interessanter Zusammenhang: Von 510.010 Personen der Studie waren 25.460 Menschen vor ihrem 82. Lebensjahr gestorben. Der Wert von 82 Jahren wurde angesetzt, da hier die Lebenserwartung im Durchschnitt ihre Grenze hat. Die 25.460 Personen waren entsprechend zu jung gestorben.

Die Forscher bildeten nun zwei Teilgruppen und verglichen, in welchem Alter gut genährte und nach eigenen Angaben unterversorgte Erwachsene starben. Ohne Nahrungsmangel lag das Sterbealter im Schnitt bei 68,9 Jahren und sank bei leichtem und moderatem Lebensmittelmangel auf 64,4 und 62,7 Jahre. Wer eine starke Nahrungs­mittelunsicherheit angegeben hatte, dessen Sterbealter sank sogar auf 59,5 Jahre herab. Das kommt einem Verlust von immerhin 9,4 Jahren Lebenszeit gleich.

Natürlich sagen diese Zahlen noch nicht aus, dass es der Nahrungsmangel allein ist, der die Lebenserwartung herab senkt. Oft befinden sich die betroffenen Personen in einem schwierigen Sozialumfeld mit weiteren Risikofaktoren: geringes Bildungsniveau, Alkohol- und Nikotinkonsum sowie chronische Krankheiten. Dennoch kann Nahrungsmangel als Marker gesehen werden.