Sprechblockade bei Kindern: Bis zur Grundschule bleibt selektiver Mutismus oft unerkannt

Selektiver Mutismus wird häufig fälschlicherweise als Schüchternheit abgetan

Von Cornelia Scherpe
29. Oktober 2019

Hinter dem Begriff Mutismus steckt ein psychogenes Schweigen, also das Ausbleiben von Sprache, obwohl körperlich und mental die Fähigkeit normal entwickelt ist. Die meisten denken bei dieser Form der Stummheit allerdings an die sehr seltene Unterform des reinen Mutismus. Diese komplette Sprachlosigkeit kennt man aus Filmen, doch sie tritt in der Realität nicht häufig auf. Anders sieht es bei selektivem Mutismus aus und die Unwissenheit über diese Krankheitsform sorgt für viele nicht-diagnostizierte Fälle.

Es betrifft vor allem Grundschulkinder, die im wahrsten Sinne des Wortes vor Angst sprachlos sind. Die Furcht vor dem Druck mit den fremden Erwachsenen zu reden, ist so enorm, dass sie verstummen. Lehrer erleben, wie das angesprochene Kind den Blick senkt (oft mit eingezogenem Kopf) und wie erstarrt bleibt. Leider wird das Phänomen oft als falsche Schüchternheit oder Bockhaltung interpretiert. Das Problem bei selektivem Mutismus ist seine Gebundenheit an angstauslösende Situationen. Im heimischen Umfeld sind die Kinder im Regelfall völlig normal und manchmal sogar besonders gesprächig. Sie spielen mit Geschwistern oder vertrauten Kindern und reden mit ihren Bezugspersonen frei.

Genetische Ursache

Der häufige Rückschluss, die selektive Sprechblockade müsse daher auf einem negativen Erlebnis gründen, ist jedoch falsch. Studien konnten hierfür keinen Zusammenhang finden und Psychologen gehen davon aus, dass 99,9 Prozent aller Fälle kein Trauma zugrunde liegt. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen immer wieder einen genetischen Auslöser. Vermutlich ist ein besonders aktives Angstzentrum angeboren. Studien konnten nachweisen, dass die Amygdala, das Angstzentrum, bei Betroffenen vergrößert ist. In Familien, in denen ein Kind unter selektivem Mutismus leidet, ist zudem in 75 Prozent der Fälle auch mindestens ein Elternteil sehr introvertiert.

Diagnose und Therapie am besten noch vor der Einschulung

Selektiver Mutismus dürfte bei betroffenen Kindern bereits in der Kita vorhanden sein, wird jedoch in den jungen Jahren oft übersehen. Erzieher geben sich im Kindergarten mit Nicken oder Kopfschütteln als Antwort häufig zufrieden. In der Grundschule funktioniert dies jedoch nicht mehr.

Bei Verdacht auf selektiven Mutismus sollten frühzeitig Therapieangebote genutzt werden. Fehlt die Hilfe, können schulische Leistungen katastrophal sein, obwohl das Kind eigentlich den Lehrstoff gut versteht.