Bindungsangst breitet sich aus: Immer mehr Menschen sind "Semi-Singles"

Von Nicole Freialdenhoven
2. Juli 2012

Früher nannte man sie Beziehungsphobiker oder eingefleischte Junggesellen, die nicht fähig waren, sich wirklich auf eine andere Person einzulassen. Heute nennen sie sich selbst lieber Semi-Singles und leben in "Halbbeziehungen": Junge Leute, die zwar eine Art Partner haben, aber diesem nicht fest verbunden sind.

Es scheint eine Art Kompromiss zu sein: Einerseits wird unbedingt Nähe gesucht, zugleich aber ständig Abwechslung und Aufregung, die in einer stabilen Partnerschaft nun mal im tristen Alltag untergeht. Doch glücklich sind die meisten Semi-Singles auch nicht mit ihrem Dasein: Meistens ist es nur einer, der sich gerne ein Hintertürchen zur Freiheit aufhalten will, während der andere leidet und viel lieber eine echte Beziehung führen würde. Aus Angst, den Partner zu verlieren, wird jedoch geschwiegen - und in Internetforen anonym über das Problem diskutiert.

Bei vielen ist die Bindungsangst ein temporäres Phänomen: Menschen, beispielsweise, die gerade erst eine Trennung erlebt haben und längst noch nicht reif sind für eine neue ernste Beziehung. Bei anderen jedoch ist sie chronisch: Psychotherapeuten sehen in dem Bedürfnis nach Unabhängigkeit eine existentielle Angst davor, von einer anderen Person abhängig zu sein. Die Ursachen dafür sind - wie so oft - in der Kindheit zu suchen: Viele Kinder, die sich wehrlos der Willkür ihrer Eltern ausgesetzt sahen, verbinden auch im Erwachsenenalter Nähe noch als Ausgeliefertsein und Einsamkeit.