Die Augen sind nicht in allen Kulturen das wichtigste Sinnesorgan

Forscher haben in einer weltweiten Studie untersucht, ob der Sehsinn bei allen Menschen der Primärsinn ist

Von Cornelia Scherpe
22. November 2018

Das Sehen wird oft als Primärsinn des Menschen bezeichnet. Das bedeutet, dass Forscher davon ausgehen, dass wir uns als "Augentiere" besonders auf diesen Sinn verlassen und unsere Umwelt größtenteils über die Augen wahrnehmen und bewerten. Die meisten Deutschen würden dieser Aussage auch mit einem Nicken zustimmen, denn es entspricht ihrer Alltagserfahrung.

Doch ist eine Hierarchie unserer fünf Sinne wirklich von der Natur so angelegt? Wäre dem so, müsste das Sehen für alle Kulturen der Primärsinn sein.

Studie zum Primärsinn des Menschen

Dies wollte eine Studie des Max-Planck-Instituts für Psycholinguistik in Nijmegen überprüfen und führte auf fünf Kontinenten ausgedehnte Tests durch. So konnten die Daten von 20 verschiedenen Kulturen gesammelt werden und die Ergebnisse sprechen eine interessante Sprache.

Zunächst wurden alle Teilnehmerinnen und Teilnehmer gebeten, verschiedene Sinneseindrücke auf sich wirken zu lassen. Sie mussten zum Beispiel ein Bild betrachten, an Geruchsproben riechen oder Gegenstände abtasten. Im Anschluss an jedes Experiment wurde darum gebeten, das Erlebte zu beschreiben. Die Forscher achteten auf die Wortwahl und ob es im jeweiligen Kulturkreis bestimmte Begriffe für eine Farbe, einen Ton etc. gibt. Zudem wurden alle zur Lebensweise des jeweiligen Volkes befragt, also etwa zu Dingen wie Bildmalerei, traditionelles Töpfern, Stellenwert der Musik und Vergleichbares.

Sehsinn nicht in allen Kulturen am wichtigsten

US-Bürger konnten Gesehenes am besten in Worte fassen und taten sich mit der Beschreibung von Gerüchen schwer. Für sie war die Annahme, der Sehsinn steht an erster Stelle, richtig. Bei Iranern mit Farsi als Muttersprache zeigte sich hingegen der Geschmack als wichtigster Sinn. Das galt ebenso für die Bewohner von Laos. Zwei Testgruppen aus Ghana und Mali stellten den Tastsinn an erste Stelle und ein nahezu von unserer Moderne unberührtes Naturvolk aus Australien war am stärksten auf den Geruchssinn geprägt. Letztere lebten als Jäger und Sammler, was den kulturellen Hintergrund als Gestalter der Sinneshierarchie gut verdeutlicht. Demnach stimmt die Annahme der Antike, wir seien alle "Augenmenschen", keineswegs.