Gefahr der Überdiagnose - Psychiater sollten normale Gefühle nicht als krankhaft hinstellen

Von Cornelia Scherpe
6. Mai 2013

In jedem Zweig der Medizin kann es zu sogenannten Überdiagnosen kommen. Die beobachteten Symptome werden dann überinterpretiert und es wird eine Diagnose gegeben, die so gar nicht haltbar ist. Da dies in jedem Fachbereich auftreten kann, ist auch die Psychiatrie nicht davor geschützt. Ein Psychologe oder ein Psychiater kann die vom Patienten oder von seinem Umfeld geschilderten "Probleme" zu ernst nehmen.

Das Resultat: normale Empfindungen werden von ihm als krankhaft hingestellt und der "Patient" beginnt eine Therapie. Das kostet den vermeintlich Kranken nicht nur Zeit, sondern verunsichert ihn auch im weiteren Leben. Immerhin kann er sich jetzt nicht mehr sicher sein, welche Reaktionen normal sind und wo er "schon wieder" über die Stränge schlägt.

Besondere Aufmerksamkeit wurde diesen Problem gewidmet, nachdem ein US-Professor für Psychiatrie jüngst darauf aufmerksam gemacht hat. Er führte als Begründung für seine Meinung aktuelle Beispiele aus dem neusten "Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders"-Katalog an. Dabei handelt es sich um eine Sammlung von emotionalen Reaktionen, die ein behandelnder Psychiater als bedenklich erkennen soll.

Unter anderem wird in diesem Katalog auch die Trauer beim Tod eines nahestehenden Menschen genannt. Dies ist laut Meinung des Professors eine radikale Überdiagnose, denn Trauer beim Verlust eines lieben Menschen ist im Gegenteil die einzig gesunde Reaktion und bedarf an sich noch überhaupt keiner Behandlung. Selbst vorübergehende Reaktionen wie Appetitverlust oder Schlafstörungen sind völlig normal, da die Seele sich erst mit dieser Ausnahmesituation arrangieren muss.

Laut Katalog dürften solche Symptome aber maximal zwei Wochen bestehen. Bei jedem Hinterbliebenen, der länger trauert, soll der behandelnde Psychiater eine schwere Depression diagnostizieren und eine entsprechende Behandlung mit Gesprächstherapie und Medikamenten beginnen.