In Irland ticken die Uhren anders - Nachholbedarf in Sachen Abtreibung und Verhütung

Von Ingrid Neufeld
27. Dezember 2012

In Irland gibt es eine öffentliche Mehrheit von 85 Prozent, die für die Legalisierung der Abtreibung ist. Dieser Zahl stehen die Politik und die Kirche jedoch entgegen.

Wenn eine werdende Mutter durch einen nicht lebensfähigen Embryo in ihrem Überleben bedroht ist, würden noch immer viele Iren diese Mutter lieber sterben lassen, als einer Abtreibung zuzustimmen.

Irland ist in unserer Vorstellung ein lebensfrohes und munteres Land und doch mutet das Denken antiquiert an. Irland blieb ein Agrarstaat, obwohl sich Europa industrialisierte. Erst 1997 wurde Scheidung erlaubt. Seit dem Beitritt zur Europäischen Gemeinschaft im Jahr 1973 änderte sich die Denkweise der Iren nur schrittweise.

Gleichberechtigung gab es faktisch nicht, Frauen mussten ihre Arbeit bei Eheschließung aufgeben und Verhütungsmittel wurden nicht verkauft.

Erst 1993 wurde ein Gesetz umgesetzt, das die Strafbarkeit von Homosexualität aufhob.

Bis 1976 durften Verhütungsmittel in den Medien nicht erwähnt werden. 1978 brachte der spätere Premierminister Charles Haughey den Gesetzentwurf ein, dass Kondome gegen Rezept in Apotheken erhältlich sein sollten, bei Ärzten und Apothekern "die willens sind". Bis zur Umsetzung dieses Gesetzes dauerte es noch zwei Jahre, allerdings gibt es genug Ärzte und Apotheker, "die nicht willens waren". Erst seit 1985 ist klar, dass jeder Ire über 18 Jahre ein Kondom kaufen darf, allerdings nur auf Rezept. Das hatte die katholische Kirche durchgedrückt. Erst seit 1993 kann in Irland die Pille bezogen werden.

In Irland gibt es eine Redewendung: "Nach England gehen" ist die Bezeichnung für "Abtreibung". Was in England erlaubt war, blieb in Irland verboten. Kondome erhielt man jahrzehntelang in der nordirischen Hauptstadt Belfast. Nach wie vor lassen jährlich zwischen 6000 und 12000 schwangere Frauen in Großbritannien abtreiben. Laut Irish Family Planning Association wurden dort seit 1980 rund 138.000 Abbrüche vorgenommen. Eine Information über Schwangerschaftsabbrüche gibt es in Irland erst seit 1992.

Da es zu einigen Todesfällen kam und darüber hinaus eine 14-jährige nach einer Vergewaltigung an der Ausreise nach England gehindert wurde und sie sogar dazu gezwungen werden sollte, dieses Kind auszutragen, wurde das Gesetz vorsichtig liberalisiert. Laut Oberster Richterspruch soll der Abbruch in lebensgefährlichen Fällen erlaubt werden. In diesem Fall soll es legal sein, über die Möglichkeit einer Abtreibung zu informieren und nach England zum Schwangerschaftsabbruch auszureisen.

Ohne den Druck aus Brüssel, oder vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof wäre es bisher zu keinerlei Verbesserung hinsichtlich der Scheidungsgesetze, der Verhütungsinformationen, eines Schwangerschaftsabbruchs, oder der Homosexualität gekommen. Doch die moderne irische Gesellschaft denkt sehr viel liberaler als die gesellschaftlichen Eliten, von denen die Iren regiert werden.