Wie lassen sich seelische Leiden diagnostizieren? Ärzte diskutieren kontrovers

Von Katja Grüner
24. April 2013

Was gilt als normal? Ab welchem Zeitpunkt spricht man von seelischen Leiden oder psychischen Krankheiten? Was ist krank, was noch gesund? Diese Fragen diskutieren Mediziner und Psychologen gerade. Anlass für die Kontroverse ist die Neuauflage des Diagnosehandbuches für psychische Krankheiten, das unlängst in den USA publiziert wurde.

Der größte Kritiker dieses Werkes ist der US-Psychiater und Autor Allen Frances. Dieser befürchtet, dass unter Heranziehen eines solchen schematischen Werkes auch Gesunde als krank abgestempelt werden könnten und Diagnosen ohne ausreichende wissenschaftliche Belege und Praxistests gestellt werden könnten. In diesem Zusammenhang würden oft Diagnosen gestellt, die eigentlich gar nicht gestellt werden dürften, weil der Patient nicht an der Erkrankung leidet.

Ärzte und Psychologen in Deutschland jedoch arbeiten nach dem Diagnoseschlüssel der Weltgesundheitsorganisation, so dass die Neuauflage des Diagnosewerkes keine unmittelbaren Auswirkungen hat. Jedoch ist das Werk seit den 50er Jahren als Grundlage für die wissenschaftliche Forschung anerkannt. Auch die Deutsche Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Psychosomatik und Nervenheilkunde (DGPPN) äußert sich dahingehend, dass die Zahl der Diagnosen nicht durch leichtere und neuere Störungen erhöht werden dürfe. Der Fokus sollte auf jeden Fall auf der Versorgung von Menschen mit schweren psychischen Krankheiten liegen.

Frances kritisiert außerdem, dass in den USA zu viele Psychopharmaka von Allgemeinärzten verschrieben und Diagnosen oft zu schnell gestellt werden. Daher stelle sich auch die Frage, wer psychisch Erkrankte behandeln solle.